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Tracht im Wandel
Die Tracht im Wandel – Heimatverbundenheit zwischen Vereinsstreben und Hipsta-Gaudi
Es tut sich was bei der Tracht. Die „neue Heimatverbundenheit“ nimmt Gestalt an und die Zahl der Widersacher und Fürsprecher ist in beiden Lagern groß. Wo soll es hingehen, zurück zum Ursprung oder aber in die Zukunft? Fragen wir doch einfach die Experten zur Tracht im Wandel.
Warum ist Tracht wieder in?
Entweder ernsthafte und museumsreife Tracht oder Mode vom Allerfeinsten, liebe Patricia Reichensdörfer? Warum ist Tracht & Heimatverbundenheit aus ihrer Sicht wieder „in“?
Eine unserer Fachfrauen in Sachen Trachtenmode, Patricia Reichensdörfer von FranzXaver Vintage Dirndl, sieht es pragmatisch, denn für sie als studierte Soziologin ist es ein besonders interessantes Thema. Sie sieht diese Entwicklung von der historischen Seite, denn früher zeigten Trachten nicht nur die Herkunft des Trägers an, sondern auch den Familienstand. Was aber noch viel höher bewertet wurde, war der soziale Stand. Über einen sehr langen Zeitraum galten Trachten als die normale Alltagskleidung. Doch alles unterliegt bekanntlich einem Wandel, ein normaler Prozess, der auch vor Brauchtum und Trachtenmode keinen Halt macht.
Patricia Reichensdörfer hat dazu eine weise Erklärung, sie sagt nämlich nicht nur ihren Kunden, dass es „zu jedem Jahrzehnt ein Gegenjahrzehnt gibt.“ Kleidung gilt als Spiegelbild unseres Charakters. Aus diesem Grunde ist es nur verständlich, dass wir uns von unserer Schokoladenseite zeigen möchten, aber vor allem authentisch.
Alles hat seine Zeit und seine Berechtigung, sowohl die besonders kurzen Dirndl der 60-er und die bunten Farben der 70-er als auch die Puffärmel der 80-er Jahre. Die 90-er Jahre zeigten, dass Dirndl & Trachten eher verpönt waren. Denn hübsche Mädchen und eigenwillige Jungen wollten anders als ihre eigenen Eltern leben und sich vor allem auch kleiden. So manches Mal löste dies auch eine kleine „Palast-Revolution“ aus.
Rückbesinnung mit Gaudi
Auch aktuell steht er wieder an, der Gegentrend. Die alten, für gut befundenen Werte leben wieder auf, wobei es sich bei Familie, Haus, Garten und unseren Wurzeln um extrem wichtige handelt. Wir drehen uns also ein wenig im Kreise, denn auch Dirndl und Trachten gehören wieder wie selbstverständlich dazu. Was vor 20 Jahren nur Häme und Spott eingebracht hätte, nämlich in einer Tracht in der Schule zu erscheinen, wird heute, quasi im Klassenverband, geplant.
Ohne passendes Outfit ist alles nur den halben Spaß wert – eine Einsicht, welche die heutige Jugend gerne teilt. Gerade im alten originalen Dirndl oder in der Lederhose des Papas ist es vorzeigbar, und man kann sagen: „Ich komme von hier, das ist meine Heimat.“
Es ist sicher eine Mischung aus Rückbesinnung auf heimatliche Eigenheiten & pfiffiger Gaudi. Sicher spielt auch ein Hauch Nostalgie und die echte Freude an der Individualität mit, wenn diese, doch konservativen Werte, wieder vermehrt in den Fokus rücken. Bekanntlich prägte Franz Josef Strauß schon 1978 den Satz: „Konservativ heißt nicht nach hinten blicken, konservativ heißt, an der Spitze des Fortschritts marschieren.“ Ein Credo, dessen pfiffige Übertragung jetzt vielleicht einen Trend setzt?
Gibt es einen Unterschied zwischen Dirndl und Tracht?
Liebe Patricia Reichensdörfer, wie kann man einem Trachten-Neuling denn den Unterschied zwischen einem Dirndl und einer Tracht am besten erklären?Tracht & Wiedererkennungswert spiegeln eine untrennbare Einheit wieder. In der Regel ist die Tracht sehr wertvoll, wurde zum größten Teil handgefertigt und zeichnet sich durch eine aufwendige Auszier sowie Knöpfe & Haken aus echtem Silber oder Gold aus. Ein gutes Beispiel dafür ist die Chiemgauer Tracht oder die Bregenzerwälder Juppe. Beide werden über viele Jahrzehnte nahezu unverändert getragen.
Beim Dirndl stellt sich die Sache etwas anders dar, dieses begann seinen Siegeszug zunächst als ein Arbeitsgewand. Erst im Laufe der Zeit wurde daraus eine Art Sommerkleid. Heute erkennt man an einem Dirndl meistens nur das Label oder die Marke, Hintergrundinformationen über die Herkunft der Trägerin bleiben oft verborgen.
Die Mode ist launisch, fabriziert gute und schlechte Blüten des Geschmacks, aber bei den heutigen Vintage-Dirndln sind die einzelnen Jahrzehnte der Mode besonders gut zu erkennen. Patricia Reichensdörfers Laden für Vintage-Dirndl legt deshalb lebendiges Zeugnis davon ab und kann heute auch als echter Trendsetter betrachtet werden.
Tracht im Wandel – wohin geht der Weg?
Wir alle haben es bereits bemerkt, es tut sich etwas bei der Tracht. Die neue Heimatverbundenheit pendelt zwischen altem Vereinsstreben und Hipsta-Gaudi. Wo geht er hin, der Weg?
Marco Ehrenleitner von Chiemseer Dirndl & Tracht beschreibt ihn so: „Unsere schnelllebige Zeit bringt es mit sich, dass in den letzten Jahren in vielen Bereichen des alltäglichen Lebens eine sogenannte Rückbesinnung stattgefunden hat. Man gibt traditionellen Werten, Beständigkeit und einem verstärkten Heimatgefühl wieder einen größeren, aber verdienten Spielraum.“
In diesem Kontext ist auch das Wiederaufleben lassen von alten Bräuchen oder von landestypischen Dialekten und deren Verbreitung zu sehen. Umstände, die auch dem Tragen von Tracht wieder mehr Raum gaben. Tracht bekommt wieder den Zuspruch, den sie eigentlich verdient, denn das Zugehörigkeitsgefühl zu bestimmten Regionen ist kein Selbstläufer, wird aber durch Tracht intensiviert. Heute ist man wieder stolz auf seine Heimat und möchte dies auch mit seiner individuellen Kleidung dokumentieren.
Dem Heimatgefühl Ausdruck verleihen – das gelingt mit den vielfältigen Kombinationen & Stoffen. Dank dieser Vielfalt ist es jedem Einzelnen möglich, seinen ganz eigenen, individuellen Stil zu kreieren und, vielleicht auf wundersame Weise, trotzdem zu einem schönen Wir-Gefühl beizutragen.
„Das modische Dirndl ist durchaus Veränderungen unterworfen. Dabei kann es sich sowohl um hübsche Verzierungen wie Borten & Rüschen als auch um Schnitte & verwendete Stoffe handeln, denn nie zuvor war die Auswahl gerade an Stoffen so vielfältig wie heute. Die hochgeschlossenen Schnitte, die im Moment so aktuell sind, sind ein positives Signal“, so Marco Ehrenleitner.
Diese Schnittformen waren schon vor 30 Jahren gefragt. So ist alles im Fluss und im Wandel. Und der Wandel bewahrt uns immerhin vor Stillstand!