Was ist ein Fastentuch?

Von am 3. März 2020 0 131 Views

Fastentuch oder Hungertuch – mehr als ein alter Brauch!

In der vorösterlichen Zeit kommt es nicht selten vor, dass wir mit dem Wort „Fasten“ in Berührung kommen – und der Schritt zum „Fastentuch“ ist dann gar nicht mehr weit.

Was ist ein Fastentuch?

Das Fastentuch, auch gerne als Hungertuch, Palmtuch, Passionstuch oder Schmachtlappen bezeichnet, verhüllt während der Fastenzeit, vorwiegend in katholischen Kirchen, die bildlichen Darstellungen Jesu, also das Kruzifix.

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Von Hans HolzEigenes Werk, CC BY-SA 3.0, Link

Seine Ursprünge liegen vermutlich im jüdischen Tempelvorhang begründet, wobei der Brauch, ein Fastentuch vor den Altar zu hängen, bis ins 9. Jahrhundert reicht.

In der Regel ist das Fastentuch ein sehr schlichtes oder in Weißstickerei gefertigtes Tuch, das mit biblischen Motiven versehen ist. Dabei reichen die Darstellungen von der Schöpfung bis zum Weltende. Aber auch Tier- und Pflanzenabbildungen sind möglich, wobei sich die künstlerischen Darstellungen auch bis zu ganz außergewöhnlichen Motiven ziehen können.

Die Fastentücher werden am Aschermittwoch im Chorraum von Kirchen aufgehängt und erst am Karsamstag wieder entfernt.

In einigen Kirchen ist es auch Sitte, das Tuch nicht während der gesamten Fastenzeit zu hängen, sondern erst die letzten ein bis zwei Wochen vor dem christlichen Osterfest.

Warum wird das Kreuz verhangen?

Diese Frage beantwortet sich in der Tradition, denn durch diesen Brauch soll dem sich dann anschließenden Osterfest ein noch stärkerer Glanzeffekt verliehen werden. Göttlicher Glaube besagt, dass die Abnahme des Fastentuchs vor der Osternacht zeigen soll, dass Jesus wieder völlig unverhüllt vor den Menschen steht und er den Himmel für sie geöffnet hat.

Warum gibt es Fastentücher?

Die Altarverhüllung während der Fastenzeit gilt als Bußübung der Gläubigen, denn ursprünglich hatte das Fastentuch die optische Funktion, die Gemeinde vom Altarraum zu trennen.

Fastentuch.jpgVon Unbekannte Maler, Benutzer:MoroderSelbst fotografiert, Gemeinfrei, Link

Den Gläubigen war es nur gestattet, das Geschehen während des Gottesdienstes hörend zu verfolgen – es wurde also mit den Augen gefastet!

Auch die alte Redewendung „am Hungertuch nagen“ findet hier ihren realistischen Bezug. Denn sie bezieht sie nicht nur auf die herrschende materielle Armut, sondern auch auf die optisch erzwungene und scheinbare Gottferne.

Diese Abstinenz vom Sichtbaren am heiligen Geschehen galt als eine Art der Vorbereitung, welche die Größe des vermeintlichen Geheimnisses neu erlebbar machte. Es ging sogar soweit, dass das Fasten mit den Augen durch das Fasten der Ohren ergänzt wurde, denn es erklangen weder Glocken noch wurde der Orgelmusik gelauscht.

Woher kommen Fastentücher und wo gibt es sie?

Das Hungertuch lässt sich bis etwa in das Jahr 1000 zurückverfolgen. Im Laufe der Geschichte bekam es demzufolge auch verschiedene Namen.

War es im Mittelalter noch der velum templi, also ein Tempelvorhang, so kennt man die Hungertücher im östlichen Alpenraum, vor allem in Kärnten, unter dem Begriff „Fastentücher“.

In Tirol wiederum, fällt gelegentlich die Bezeichnung „Leidenstücher“. Der niederdeutsche Sprachgebrauch kennt die Bezeichnung „S(ch)machtlappen“, und in der Schweiz, in Schwaben, im Elsass, in Westfalen und in Sachsen greift man auf die Bezeichnung „Hungertücher“ zurück.

Der Brauch des Fastentuches blieb bis in das 12. Jahrhundert ein rein symbolisches Objekt, das aus einfarbigem Stoff, sowohl aus Leinen als auch aus Seide, gefertigt wurde.

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Von Daniel Brockpähler – Eigenes Werk, CC BY-SA 3.0, Link

Damals wurde es nur im Einzelfall durch ornamentale Stickerei verziert. Danach wurde das Tuch als spezielle Form der christlichen Kunst entdeckt, die über mehrere Jahrhunderte sehr produktiv blieb. Dabei lagen die Schwerpunkte der künstlerischen Entwicklung einerseits in der Alpenregion, besonders in Kärnten und Tirol, und andererseits in Norddeutschland, Westfalen und Niedersachsen.

Die alpenländische Tradition veränderte auch die Werkstoffe. Hier bestand ein Fastentuch aus mehreren horizontal vernähten Bahnen aus fester Leinwand, die in der Praxis oft mit der sogenannten „Tüchleinmalerei“ und bereits mit Temperafarben, bemalt wurden.

Somit entstand auch eine Frühform der Tuchmalerei, wobei der gebräuchlichste Malgrund allerdings, und das bis ins 15. Jahrhundert hinein, Holz blieb. Als ein künstlerischer Höhepunkt kann das Fastentuch in der romanischen Basilika zu Gurk gesehen werden, das 99 Einzelmotive in horizontal angeordneten Streifen zeigt.

Die Schöpfer von Fastentüchern, die aus Westfalen oder Niedersachsen stammen, beließen es bei Leinen als favorisiertes Material und der Stickerei als Arbeitstechnik.

Jedoch veränderten sie die Gestaltung – einzelne Motive wurden jetzt auf kleineren Rechtecken abgebildet, die mittels Leinenstegen verbunden wurden. Der Flickenteppich bzw. das textile Mosaik bekam so ein Gesicht. Aber auch Malerei auf straff gespanntem Leinen wurde hin und wieder versucht.

Reich bebilderte Fastentücher

Verhüllen bedeutet  oftmals „aufwerten“. In Kärnten, aber auch in anderen Regionen entwickelte sich damals, zusätzlich zur Verhüllung des Altarraums, eine sehr reiche Bebilderung der Fastentücher.

Millstätter Fastentuch Gefangennahme.jpgVon Oswalt Kreusel – de:Benutzer:Griensteidl, Axel Huber: Das Millstätter Fastentuch, scanned 12 June 2006, Gemeinfrei, Link

Da die Bevölkerung des Lesens meist unkundig war, dienten Bilder der anschaulichen Verkündigung. „Biblia pauperum“, die Bibel für die Armen, nannte man diese bemalten Bilderfolgen.

Die Reformation brachte es mit sich, dass die Hungertücher verschwanden. Jetzt sollte die Bibel als das Wort Gottes ins Zentrum rücken. Gleichsam wurden das Wort und das Bekenntnis zur Konfession wichtig, so dass die Bilddarstellung ersetzt wurde.

Die neuen Hungertücher setzen im Vergleich zur geschichtlichen Entwicklung bildnerisch und inhaltlich völlig neue Akzente, so dass sie sich heute um eine neue Sinndeutung der Fastenzeit bemühen.

Auf dem ersten neuzeitlichen Hungertuch des indischen Malers Jyoti Sahi aus Bangalore wird Christus nicht mehr am Kreuz hängend, sondern tanzend wie die Gottheit Shiva am Weltenbaum dargestellt. Und auch indische Symbole, wie der Schmetterling auf der Lotusblume, bereichern die Deutung der christlichen Botschaft.

Die Neuentdeckung des Fastentuches als Kunstform

Religiöses Brauchtum wie die Fertigung und das Anbringen eines Fastentuches wurde – bis auf wenige Ausnahmen – bis in das 18. Jahrhundert nur in katholischen Gegenden gepflegt. Denn der Reformator Luther sprach sich gegen die Tradition der Sakralkunst als sogenanntes „Gaukelwerk“ aussprach.

Nach der Reformation blieb der Brauch in den Entstehungsgebieten erhalten, und auch heute gibt es dort noch Kirchen, welche diese Tradition pflegen. Jedoch hat sich das Fastentuch als Kunstform seinen Weg gebahnt.

Mit Maßen von 10 x 12 Metern und einem Gewicht von mehr als einer Tonne gilt das Freiburger Fastentuch heute als das größte erhaltene „Tuch der 40 Tage“ überhaupt.

Das größte und älteste bekannte Fastentuch Österreichs ist das von Konrad von Friesach im Jahre 1458 geschaffene Tuch im Dom zu Gurk. Ein mit 41 Szenen bemaltes Fastentuch, das im Original erhalten blieb, ist das von Oswald Kreusel aus dem Jahre 1593. Es fand in der Pfarrkirche von Millstatt in Kärnten seinen Platz.

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Von Johann WerfringEigenes Werk, CC BY-SA 4.0, Link

Traun in Oberösterreich, das sich eher der norddeutschen Tradition verpflichtet sieht, lässt die Bildflächen von Kindern bemalen, und auch Villach in Kärnten verwendet bis heute ein Fastentuch, das in einem kreativen Schülerprojekt im Jahre 2003 entstand. Das Österreichische Museum für Volkskunde in Wien stellt ein 32 Quadratmeter großes Fastentuch mit der Jahreszahl 1640 aus, das über 36 Felder verfügt und vermutlich aus dem Kärntner Raum stammt. Wenn es um Fastentücher geht, wurden selbst Rekorde schon aufgestellt und überboten!

So wurde der Rekord des weltgrößten Hungertuches von 2007, in Bernau bei Berlin liegend, bereits im März 2008 von der Musik- und Sportmittelschule Wendstattgasse, im 10. Wiener Bezirk gelegen, überboten.

In einer dreiwöchigen kreativen Malaktion schufen die Schüler beider Schulen ein 400 Quadratmeter großes Tuch, das mit Motiven aus dem Leben Jesu und zeitgeschichtlichen Themen verziert wurde. Auch die österreichischen Pfarreien „Am Schüttel“ in Wien und St. Othmar in Mödling lassen jährlich Fastentücher erstellen, die von zeitgenössischen Künstlern gestaltet werden.

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